Primzahlen, Fraktale, Fibonacci-Folge: Das wohl berühmteste Zahlenmuster der Mathematik birgt erstaunliche Geheimnisse.
Es ist wohl eines der bekanntesten Zahlenmuster der Welt. Das pascalsche Dreieck besticht durch seine Schönheit. Es ist wie ein Tannenbaum aufgebaut, an der oberen Spitze thront eine einzige Eins, jede weitere Reihe weist eine Zahl mehr auf als die vorige. So entsteht nach und nach ein riesiges Zahlendreieck, das sich theoretisch bis in die Unendlichkeit fortsetzt. Denn die Reihen bauen sich immer nach einem gleich bleibenden, einfachen Schema auf.
Als mir das pascalsche Dreieck erstmals in der Schule begegnete, war ich sofort fasziniert. Dabei kannte ich die meisten der darin befindlichen Muster gar nicht. Der Grund, warum es wahrscheinlich so vielen Personen gefällt, ist seine Symmetrie: Die Zahlen erscheinen in der Mitte jeder Reihe gespiegelt. Auch die Rechenvorschrift, nach der sich die Reihen aufbauen, lassen sich einfach anwenden: Man startet bei Eins und schreibt in die zweite Zeile zwei Einsen. Auch in die nächste Reihe setzt man zwei Einsen an die äußeren Ränder, links und rechts. Die mittlere freie Stelle füllt man allerdings mit der Summe der zwei darüber befindlichen Zahlen: 1 + 1 = 2. Die dritte Reihe enthält also die Werte: 1, 2, 1. So geht man dann immer weiter vor: Die vierte Reihe startet wieder mit zwei Einsen am rechten und linken Rand. Die zwei Leerstellen in der Mitte füllt man mit den Summen der zwei darüber befindlichen Zahlen, also 1 + 2 = 3 und 2 + 1 = 3. Die vierte Reihe enthält entsprechend die Zahlen 1, 3, 3, 1. Indem man dieses Prozedere fortsetzt, baut sich nach und nach das pascalsche Dreieck auf.
Benannt ist das Zahlenmuster nach dem französischen Gelehrten Blaise Pascal (1623–1662), der es 1655 veröffentlichte, um damit Gewinnstrategien für Glücksspiele zu entwickeln. Durch seine Zusammenarbeit mit Pierre de Fermat begründete er die Wahrscheinlichkeitsrechnung, für die sich die Einträge des Dreiecks als hilfreich erwiesen. Allerdings folgt die Geschichte auch in diesem Fall Stiglers Gesetz, das besagt, dass keine wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem tatsächlichen Entdecker benannt ist. So taucht das pascalsche Dreieck bereits in wesentlich älteren Schriften auf, etwa des persischen Mathematikers Abu Bakr al-Karadschi (953–1029), der etwa 700 Jahre vor Pascal lebte.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel könnt ihr hier lesen.
Inzwischen ist das Zahlendreieck überaus berühmt. Die vielen Muster, die sich in den Zahlen verstecken, faszinieren bis heute Menschen auf der ganzen Welt. Wenn man zehn Zahlentheoretiker fragt, welche Eigenschaften des Dreiecks sie am faszinierendsten finden, erhält man womöglich zehn verschiedene Antworten. Al-Karadschi hatte das Dreieck beispielsweise konstruiert, als er die Vorfaktoren von binomischen Gleichungen der Form (a + b)n für verschiedene n berechnete:
(a + b)0 = 1
(a + b)1 = 1·a + 1·b
(a + b)2 = 1·a2 + 2·ab + 1·b2
(a + b)3 = 1·a3 + 3·a2b + 3·ab2 + 1·b3
... und so weiter.
Die Vorfaktoren vor den Variablen a und b entsprechen den Einträgen des pascalschen Dreiecks, wobei n die Reihe angibt, in der sie stehen. Wie sich später herausstellte, hängen diese Koeffizienten durch den binomischen Lehrsatz mit Größen aus der Wahrscheinlichkeitstheorie zusammen – was dazu führte, dass Pascal sich dieses Zahlenmusters annahm.
Anders als al-Karadschi hatte Pascal das Dreieck im 17. Jahrhundert nicht veröffentlicht, um die Vorfaktoren von binomischen Gleichungen zu berechnen. Er war damals an Wahrscheinlichkeiten bestimmter Ereignisse interessiert. Unter anderem wollte er berechnen, auf wie viele Arten man k Objekte aus einer Menge mit n Elementen auswählen kann. Die Lösung geben so genannte Binomialkoeffizienten an B(n,k) = n!⁄k!(n-k)!, die – wie ihr Name schon andeutet – gerade den Vorfaktoren der binomischen Gleichungen entsprechen, die al-Karadschi untersucht hatte. Die Einträge des Zahlendreiecks entsprechen genau diesen Koeffizienten, wobei n die Reihe und k die Spalte des jeweiligen Eintrags angibt. Wenn man also erfahren möchte, wie hoch die Gewinnchance beim Lotto ist, muss man berechnen, wie viele Möglichkeiten es gibt, 6 Zahlen aus 49 zu ziehen. Die Anzahl der möglichen Züge gibt der Binomialkoeffizient B(49,6) an, dessen Wert etwa 13,9 Millionen beträgt. Das lässt sich auch aus dem pascalschen Dreieck herauslesen: Man muss dazu allerdings bis in die 49. Reihe vordringen, das Ergebnis steht dann in der sechsten Spalte.
Wenn man zu al-Karadschis Interpretation des pascalschen Dreiecks zurückkehrt (den Vorfaktoren von (a + b)n), wird eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft des Dreiecks deutlich. Die Summe jeder einzelnen Reihe entspricht immer einer Zweierpotenz. Das sieht man ganz leicht, wenn man für a und b jeweils den Wert 1 einsetzt: Dann wird die Summe jeder Reihe gerade (1 + 1)n = 2n.
Auf diese Weise lässt sich auch ein Spezialfall des kleinen fermatschen Satzes erkennen – ein Theorem über Primzahlen, das Pascals Zeitgenosse und Kollege Pierre de Fermat im Jahr 1640 entwickelte. Der Satz besagt: Wenn man eine natürliche Zahl a mit einer Primzahl p potenziert (also ap berechnet) und das Ergebnis dann wieder durch p teilt, bleibt eine ganze Zahl mit Rest a übrig. Das klingt kompliziert, ist aber im Grunde ganz einfach: Falls a = 4 und p = 5, dann berechnet man zunächst 45 = 210 = 1024. Nun muss man 1024 durch 5 teilen, was 204 mit Rest 4 ergibt.
Und genau diese Eigenschaft von Primzahlen lässt sich im pascalschen Dreieck außerordentlich gut erkennen – zumindest für den Fall, dass a = 2 ist. Dabei muss man im Hinterkopf behalten, dass die Summe der Einträge der n-ten Reihe des Dreiecks 2n entspricht. Wenn man sich eine Reihe herauspickt, bei der n eine Primzahl ist, kann man leicht sehen, dass Einträge durch das entsprechende n teilbar sind – bis auf die 1 am Anfang und am Ende. Zum Beispiel lauten die Einträge der fünften Reihe: 1, 5, 10, 10, 5, 1. Wenn man also den Wert 2n (die addierten Einträge der n-ten Reihe) durch n teilt, bleibt stets bloß ein Rest von den zwei Einsen (1 + 1 = 2) an den Rändern übrig – genau wie von Fermat vorhergesagt.
Die Einträge des pascalschen Dreiecks folgen aber auch noch ein paar offensichtlicheren Mustern: Die beiden Diagonalen des Dreiecks, die parallel zu den äußersten Einser-Reihen verlaufen, listen beispielsweise die natürlichen Zahlen auf. Grund dafür ist, dass Zahlen der nächsten Reihe immer aus der Summe der zwei darüber befindlichen Werte gebildet werden: Da am äußeren Rand immer eine Eins steht, erhöht sich die Folge in jedem Schritt um eins.
Auch die direkt daneben befindlichen Diagonalen mit den Werten 1, 3, 6, 10, 15 und so weiter sind interessant. Dabei handelt es sich nämlich um Dreieckszahlen: die Anzahl an Steinen, die man braucht, um aus ihnen ein gleichseitiges Dreieck legen zu können. Diese Folge taucht auf, da die n-te Dreieckzahl der Summe 1 + 2+…+ n entspricht. Diese lässt sich gemäß der gaußschen Summenformel durch n·(n+1)/2 berechnen – und das entspricht gerade dem Wert B(n+1, 2), also dem Eintrag in der n+1-ten Reihe und zweiten Spalte des pascalschen Dreiecks.
Eine weitere Eigenschaft, die mit Dreiecken zusammenhängt, wird ersichtlich, wenn man die geraden und ungeraden Einträge des pascalschen Dreiecks unterschiedlich einfärbt. Wie François-Edouard-Anatole Lucas 1890 bewies, entsteht dadurch ein Muster, das einigen vielleicht bekannt vorkommt: Es ist ein Fraktal, das so genannte Sierpinski-Dreieck. Dieses kann man konstruieren, indem man ein gleichseitiges Dreieck in vier kleinere kongruente Dreiecke unterteilt und das mittlere entfernt. Indem man diesen Vorgang immer wieder mit den drei übrigen kleineren Dreiecken wiederholt, entsteht ein fraktales Muster, das man auch im pascalschen Dreieck beobachten kann.
Es sind noch weitere prominente Vertreter der Mathematik im pascalschen Dreieck anzutreffen: zum Beispiel die Fibonacci-Folge. Diese unendlich lange Abfolge natürlicher Zahlen entsteht, wenn man mit 1 startet, darauf eine weitere 1 folgen lässt und dann die Summe der beiden vorangehenden Folgenglieder bildet: 1, 1, 2 (= 1 + 1), 3 (= 1 + 2), 5 (= 2 + 3), 8 (= 3 + 5), 13 (= 5 + 8), 21 (= 8 + 13) und so weiter. Auch diese Folge entsteht wegen der Summenstruktur des pascalschen Dreiecks: Jede Zahl einer Reihe ergibt sich durch die Addition der beiden darüber befindlichen Zahlen.
Der Grund, warum die Fibonacci-Folge so populär ist, hängt unter anderem damit zusammen, dass das dadurch beschriebene Wachstum in vielen Vorgängen der Natur beobachtbar ist: Zum Beispiel folgt die Anordnung der Kerne in der Sonnenblume der Fibonacci-Reihe. Im pascalschen Dreieck findet man die einzelnen Glieder der Folge, wenn man die Einträge aller kurzen Diagonalen summiert, wie im unteren Bild angedeutet:
Ihr habt noch nicht genug? Das pascalsche Dreieck hat noch viele weitere spannende Eigenschaften. Zum Beispiel findet man darin auch Mersenne-Primzahlen. Dabei handelt es sich um Zahlen der Form 2n−1, die keinen Teiler außer 1 und sich selbst haben, zum Beispiel: 22−1 = 3, 23−1 = 7, 25−1 = 31, 27−1 = 127 und so weiter. Die größte aktuell bekannte Mersenne-Primzahl ist durch den Wert von n = 82 589 933 gegeben. Sie wurde durch ein gemeinschaftliches Forschungsprojekt gefunden, bei dem Freiwillige ihre Rechenleistung zur Verfügung stellen, um nach Mersenne-Primzahlen zu suchen. Und tatsächlich tauchen alle Zahlen der Form 2n−1 auch im pascalschen Dreieck auf: Dafür muss man nur alle Einträge bis zu einer bestimmten Reihe n addieren. Wenn man etwa 25−1 berechnen möchte, muss man alle Einträge bis zur fünften Reihe summieren. Da die Summe jeder Zeile der entsprechenden Zweierpotenz entspricht, erhält man folgendes Ergebnis: 20+21+22+23+24 = 31, was der Mersenne-Primzahl für n = 5 entspricht.
Dass die Summe der ersten n−1 Reihen des pascalschen Dreiecks immer eine Zahl der Form 2n−1 (die nicht zwangsläufig eine Primzahl ist) liefert, lässt sich recht schnell beweisen. Dafür kann man die Technik der »vollständigen Induktion« nutzen: Vermutet man, dass ein bestimmter Zusammenhang für alle natürlichen Zahlen n gilt, zeigt man zuerst, dass n = 1 die Vermutung erfüllt. Anschließend beweist man, dass, wenn die Hypothese für n gilt, sie automatisch auch für n+1 gilt. Damit hat man dann bewiesen, dass die Vermutung automatisch für alle n gilt.
Auf unser Beispiel angewandt, startet man also mit n = 1: Die dazugehörige Mersenne-Zahl ist 2−1 = 1. Im pascalschen Dreieck betrachtet man hierzu nur die 0-te (also oberste) Zeile, also 1. Da beide Ergebnisse zusammenpassen, kann man die Induktionsannahme formulieren: Wir gehen davon aus, dass die Summe 20 + 21 + 22 + 23 + 24 + … + 2n−1 = 2n−1 ist. Nun muss man noch zeigen, dass der Zusammenhang standhält, wenn man einen Schritt weiter geht, also statt n die nächste natürliche Zahl n+1 betrachtet: 20 + 21 + 22 + 23 + 24 + … + 2n = 20 + 21 + 22 + 23 + 24 + … + 2n−1 + 2n. Bis hierher haben wir noch nichts getan. Nun können wir aber die Induktionsannahme (20 + 21 + … + 2n−1 = 2n−1) in die Gleichung einsetzen. Dadurch erhält man: 2n−1 + 2n = 2·2n−1 = 2n+1−1. Das ist genau das Ergebnis, das man für n+1 erwarten würde. Damit ist der Zusammenhang bewiesen: Die Summe der ersten n−1 Zeilen des pascalschen Dreiecks liefert die n-te Mersenne-Zahl.
Ich könnte jetzt noch etliche weitere Absätze mit spannenden Eigenschaften des pascalschen Dreiecks füllen. Doch ich denke, die hier vorgestellten Beispiele sollten genügen, um alle zu überzeugen, wie faszinierend das Zahlenmuster ist. Man kann sich auf jeden Fall immer wieder stundenlang in dem Thema verlieren. So erzählt der Zahlentheoretiker Jordan Ellenberg, dass er als Jugendlicher gerne über dem pascalschen Dreieck brütete. Offenbar hat es einen Teil dazu beigetragen, dass sich Ellenberg für eine mathematische Laufbahn entschied – und er ist da bestimmt keine Ausnahme.
Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!
Author: Tracy Jordan
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